Am 12. Januar 2023 ist Franz Kersjes in Köln gestorben
Nachruf von Constanze Lindemann
Was für eine schmerzliche, todtraurige Nachricht zu Beginn des neuen Jahres.
Mit Franz Kersjes verlässt uns nicht einfach ein ehemaliger Landesbezirksvorsitzender, ein langjähriger hauptamtlicher Kollege, der in Köln in der Südstadt geboren wurde, dessen Kindheit von den Bombennächten geprägt wurde, der Klischeeätzer gelernt und von der Pike auf im graphischen Gewerbe verwurzelt war. Mit ihm geht ein feiner Mensch, ein wunderbarer Kollege, der es in besonders persönlicher Weise verstanden hat, Kerninhalte von gewerkschaftlichen Überzeugungen zu verkörpern, zu leben und an andere weiter zu geben.
In der Hörfunksendung „Erlebte Geschichten“ im WDR 2013 sagte er, alles was er beruflich und politisch geworden sei und erreicht habe, verdanke er seinen Kolleginnen und Kollegen in dem kleinen graphischen Betrieb in Köln, in dem er 1955 seine Lehre als Klischeeätzer begann. Er habe ihnen einfach zugehört. In den politischen Gesprächen der Gehilfen, die sie morgens führten, bevor sie an die Arbeit gingen, habe er zum ersten Mal etwas über die Nazis und ihr System erfahren und die zurückliegende Geschichte begriffen. Er, der sich damals selber als unpolitisch bezeichnete, habe dort Aufklärung und politische Bildung erfahren und gelernt, dass es gilt immer auch nach den Hintergründen zu fragen. Seine Kollegen waren es, die ihm den gewerkschaftlichen Aufnahmeschein für den Senefelder-Bund gaben, mit der Feststellung, zu einer guten Ausbildung gehöre es, sich gemeinsam zu organisieren und dazu zu gehören. In den wöchentlichen Treffen mit anderen Jugendlichen habe er verstanden, dass es darauf ankommt, miteinander zu sprechen, zu diskutieren, die unterschiedlichen Sichtweisen und Meinungen auszutauschen, um zu gemeinsamen Perspektiven zu kommen. Die Gehilfen in seinem Betrieb rieten ihm auch, nach der Ausbildung in einen anderen Betrieb zu gehen, um andere Verhältnisse kennenzulernen. Dabei gaben sie ihm mit, welche Lohnforderungen er stellen solle und wie ein Arbeitsvertrag aussehen müsste.
Franz Kersjes lehnte es vehement ab, politische Ziele mit militärischen Mitteln zu erreichen. Er hatte als Kind den Krieg erfahren, sein Vater, den er faktisch nicht kennenlernen konnte, ist als Soldat im Krieg gestorben. „Nichts hätte mich jemals zwingen können, ein Gewehr in die Hand zu nehmen.“
Ohne Frieden ist alles nichts. Über den eigenen Tellerrand schauen, einander zuhören, den Mut zu haben sich zu wehren, für Demokratie und ihre Kontrolle von unten durch das Volk, in allen Bereichen der Gesellschaft, auch in den Betrieben, sich einzusetzen, die Gleichwertigkeit von Arbeit und Kapital durchzusetzen. Diesen Leitsätzen ist Franz Kersjes sein ganzes Leben lang treu geblieben. Wie kann es sein, fragte er, dass die Menschen zwar alle Werte produzieren, aber keinerlei Verfügung darüber haben, was mit diesen Werten dann gemacht wird? Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.
Sich ganz und gar der gewerkschaftlichen Arbeit widmen – Franz Kersjes wusste, dass er damit seiner Frau die Hauptlast der Erziehung der vier gemeinsamen Kinder übertrug. Und er dankte ihnen, dass sie das akzeptierten und ihm sein Engagement ermöglichten. Als er sich 2001 aus der hauptamtlichen Arbeit verabschiedete, ging er aber nicht in den Ruhestand, blieb Mitglied bei Greenpeace und attac – eine andere Welt ist möglich.Vor allem aber eröffnete er die Webseite „Welt der Arbeit“, um mit Analysen, Kommentaren und Veröffentlichungen weiter einen Beitrag zur politischen Bildung und Aufklärung von Kolleginnen und Kollegen zu leisten.
Ich bin dankbar für all die gemeinsamen Jahre von gewerkschaftlicher Arbeit, die vielen Begegnungen und Gespräche in Tarifkommissionen, bei Gewerkschaftstagen, Demonstrationen, Veranstaltungen und vor allem bei den Treffen danach. Umso größer und schmerzlicher ist der Verlust, der durch Franz Kersjes Tod entsteht.
Franz Kersjes war Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen der IG Medien und davor der IG Druck und Papier von 1980 bis 2001.
Zu seinem 80. Geburtstag erschien in der DRUCK+PAPIER ein ausführliches Porträt von ihm.
Und er selber kommt in der Sendung des WDR „Erlebte Geschichten“ zu Wort.